Reife Liebe

Ein Freund im Liebestaumel

In ein paar Jahren, sofern es mich dann noch gibt, möchte ich der Berufswelt den Rücken kehren, meine Füsse öfter hoch lagern und vermehrt den Pilzen, Fischen oder Damen nachstellen. Letzteres vielleicht aber auch nicht mehr, denn eine arge virale “Erkrankung” scheint mir diesbezüglich zu schaffen zu machen.

Die Fieberschübe schütteln mich heftig durch, Schüttelfrost und Hitzewellen schwappen abwechslungsweise über mich herein, mein Zustand muss als ernst bezeichnet werden und die einzelnen Symptome lassen ganz klar auf einen Virusinfekt schliessen, infiziert wohl mit dem berühmten und weit herum bekannten und verbreiteten Virus amoriensis eroticus, einem Erreger, gegen den selbst ältere Herrschaften wie ich noch immer nicht gänzlich immun zu sein scheinen und wogegen es auch noch keine vorbeugende Impfung gibt. Auffällig, dass besonders das Herz in Mitleidenschaft gezogen wird, wobei aber mehr in Leidenschaft als in Mit-leidenschaft…

Der Verlauf der Krankheit ist ungewiss und kann je nach Stadium sowie meiner allgemeinen Verfassung und Konstitution zu einer chronischen Erkrankung mutieren, in Ausnahmefällen auch in eine lebenslänglich bestehende Infektion ausarten. Vielfach sind die optische Wahrnehmung sowie das klare Urteilsvermögen mässig bis stark beeinträchtigt, körpereigene endogene Drogen, auch bekannt unter der Bezeichnung Glückshormone, überschwemmen den Körper und lassen den Patienten sich selbst und seinem Umfeld viel jünger erscheinen, in Ausnahmefällen kann dies aber auch erschreckende Formen annehmen, dass kindisches Verhalten auftritt und das altersadäquate Auftreten völlig verloren geht.

Berühmt sind auch körperliche Symptome, wie sie sonst nur bei ganz jungen Patienten auftreten, das so genannte Balzverhalten ist bekannt dafür; da werden Federn gebauscht, selbst fremde sich aufgesteckt, Bauchansätze verschwinden urplötzlich, wenn auch nur vorübergehend, Friseure werden aufgesucht, Podologinnen konsultiert, Brauen gezupft, Nägel gestrichen und die Kleidung bis hin zur Unterwäsche rundum erneuert und auf den aktuellsten Stand der Mode gebracht, selbst passende Socken werden wieder getragen und Schuhe auf Hochglanz poliert.

Man erinnert sich plötzlich all seiner Stärken, überstreicht und übertüncht grosszügig Schwächen, unterdrückt liebgewordene aber nicht ganz stubenreine Gewohnheiten und verkehrt nur noch in gediegenen Lokalen, steigt kulturell mindestens drei Seigel höher als in den letzten Jahren üblich und kaum öffnet man den Mund, da sprudeln schon wieder Komplimente und Lobhudeleien am laufenden Band aus einem heraus, manN staunt ab dem eigenen Charme, über welchen man urplötzlich wieder verfügt und Deos werden ebenfalls viel zu dick aufgetragen, selbst die Zahnbürste kommt kaum mehr zur Ruhe und gar die Achselhöhlen werden peinlich sauber rasiert.

Das Warten auf liebevoll schwärmerische SMS wird zur Qual, Minuten werden zu Stunden, die Sehnsucht zur Folter. Wird auf das fiebrig gestörte und krankhafte Verhalten reagiert, kann man gar davon ausgehen, dass das angebetete und begehrte Gegenüber ebenfalls infiziert und total befallen wurde, wird also spiegelndes Verhalten konstatiert, dann geht die Krankheit ins nächst höhere Stadium über, steigert sich zum unheilbaren Siechentum, dem Verfall von Geist und Körper.

Physische und psychische Symptome wie etwa Begehren, Sehnsucht, Lust und der ständige Wunsch nach Begegnung, dem ineinander Verschmelzen, treten auf, sind unstillbar und jedes Mittel ist recht, um diesem Verlangen gerecht zu werden; beim ersten Date, wie trottelig benimmt man sich doch, den Blumenstrauss linkisch in den Händen haltend, als wäre es eine Stange Bier, statt der weltmännisch galanten einstudierten Begrüssungsworte stammelt man unverständliche Laute, da vor lauter Flattern und Herzklopfen die Stimme versagt und die Zunge am trockenen Gaumendach klebt; taut man dann doch nach und nach etwas auf, traut sich, anfänglich zwar noch tapsig zärtlich, die Begehrte wie zufällig zu berühren, steigert sich langsam um sie wie en passant bei der Hand zu nehmen, welches sich gar zum verspielten ineinander Kuscheln der Hände weiterentwickelt, zum zärtlich streichelnden Fingerspiel beim Händehalten, dem gegenseitigen Versinken der Blicke ineinander, während das feine Nachtessen, die zarten Rehmedaillons auf dem Teller erkalten und gleichzeitig die beiden Herzen sich noch mehr füreinander erhitzen.

Irgendwann, da landen bei der Begrüssung oder dem Abschied die Lippen nicht mehr bloss flüchtig hinhauchend auf der Wange, nein, sie finden wie zufällig zueinander, verschmelzen sanft weich und staunend zurückhalten aufeinander, erschrocken anfänglich, nur für einen irreal kurzen flüchtig zärtlichen Moment, noch nicht wollüstig und begehrend sich ineinander verschlingend und festsaugend, vielleicht blitzt für einen ganz kurzen Augenblick eine Zungenspitze zwischen den feuchten Lippen durch, just gleichzeitig bei beiden und dann hängt der Himmel voller Geigen und der Begriff traumhaft wird einem vollends klar verständlich.

Also, bis hierhin bin ich nach den ersten fünf Wochen und der dritten realen Begegnung gekommen, letztes Mal trafen wir uns in Basel, zu einem gediegenen Nachtessen mit anschliessendem Kleintheaterbesuch, wobei das Programm, obschon der Darsteller zu Hochform auflief, ziemlich an mir vorbeiging, da ich in der Gegenwart meiner Begleitung versank, ihre Hände liebkoste, ihren Duft aufsog und genoss, ganz zufällig mein Bein an das ihre presste, so dass ihre wohlige Wärme meinen Körper auf gut zweihundert Grad aufheizte; der geschilderte Kuss ergab sich vor ihrem Haus, angelehnt am Treppengeländer beim Abschied, kaum zu realisieren, halt eben traumhaft und ich verabschiedete mich wie in Trance, wohl stammelnd und durcheinander wie wenn mich die Demenz schon völlig befallen hätte und ich stolperte glücklich beschwingt heimwärts.

Mittlerweile sind zwei weitere Wochen der behutsamen Annäherung vergangen, das gegenseitige Vertrauen ist weiter gewachsen und ohne in intimere Details abzuschweifen und vollends im Schwärmen den Kopf zu verlieren, da kann ich einfach sagen, dass ich hoffe und glaube, dass wir am Anfang einer liebevollen und echten Partnerschaft stehen und dass wir den eingeschlagenen Weg Seite an Seite zusammen weitergehen werden und was immer auch kommen mag, bis hierhin war es jedenfalls ein zauberschöner Abschnitt meines Lebens, ich bin glücklich und dankbar, dass ich einer so liebevoll tollen Frau begegnet bin, wir uns erkannt und zueinander gefunden haben und diese einzigartige Chance wohl nutzen werden, denn rundum alles scheint zu stimmen, zu passen und wir können uns beide gut vorstellen, dass wir den letzten verbleibenden Lebensabschnitt gemeinsam verbringen werden in gegenseitiger liebvoller Achtung, in Vertrauen, Toleranz und Freiheit, in einer reifen Liebesbeziehung, ohne zu beschneiden, nicht einengend oder uns gegenseitig mit Besitzansprüchen zu erdrücken, auf eine Art also, wie es in jungen Jahren nur schwer vorstellbar und kaum je möglich war.

Mögen die Schmetterlinge noch lange gaukelnd flattern.